Wenn eine Filmkritik gut geschrieben – oder im Zeitalter von YouTube & Co. gut gesprochen – wird, dann kann sie die verschiedensten Reaktionen auslösen: Sie kann vor einem schlechten Film warnen, auf einen guten Film Lust machen oder einen bereits gesehenen Film vertiefen und ihm neue Facetten verleihen.
Dabei muss der Filmkritiker selbst nicht unbedingt professionell sein, um eine professionelle Filmkritik zu produzieren. Neben etablierten Anlaufstellen wie „Filmstarts“, „Moviepilot“ oder „Cinema“ gibt es allein im deutschsprachigen Raum hunderte Kritiker, die Filme auf ihren Blogs, YouTube Channels, in Podcasts oder auf Websites bewerten und Auskunft geben, ob sich eine Kinokarte lohnt oder nicht.
Der Begriff professionell gibt eigentlich an, dass jemand eine Tätigkeit in dem Maße ausführt, dass er damit Geld verdient. Im Bereich der Filmkritik ist diese Definition jedoch wenig zielführend, da die Tatsache, ob ein Kritiker damit seinen Lebensunterhalt bestreitet, keine Auskunft über die Neutralität und Güte der tatsächlichen Kritik gibt.
Objektive und subjektive Filmkritiken
Ein altes Sprichwort sagt: Der Köder muss dem Fisch schmecken und nicht dem Angler. In Bezug auf die kritische Auseinandersetzung mit einem Film bedeutet das nichts anderes, als dass der Kritiker seine persönlichen Befindlichkeiten und Sehgewohnheiten ausblenden und sich in den Leser seiner Kritik hineinversetzen muss, um ein objektives Bild des Films zu zeichnen.
Natürlich ist die emotionale Wirkung von Filmen vom persönlichen Geschmack abhängig und damit subjektiv. Außerdem spielt für die persönliche Rezeption auch das Genre eine Rolle. Doch der professionelle Filmkritiker (Frau und Mann) ist in der Lage, diese Präferenzen in seine Filmkritik nicht einfließen zu lassen. Ausnahmen sind natürlich Teile der Filmkritik, die klar als Meinungsäußerung kenntlich gemacht werden und über das theoretische und objektive Grundgerüst die entsprechende, persönliche Note setzen. Alles ist zulässig, sofern nicht der falsche Eindruck von Objektivität vermittelt wird.
Auch die rein und bewusst subjektiv geschriebene Filmkritik ist jedoch keineswegs obsolet. Selbst ohne jenen professionellen Anspruch befriedigen sie Bedürfnisse der Rezipienten und schaffen einen Unterhaltungswert. Gerade Personen, die nur selten ins Kino gehen und mit den theoretischen Grundlagen der Filmproduktion nicht vertraut sind, können von subjektiver Filmkritik (klar mit persönlichen Meinungen unterfütterte Filmkritik) profitieren. Schließlich geben sie eindeutige Auskunft über das Sehempfinden des Kritikers. Und wenn der Zuschauer sich beispielsweise mit dem Kritiker identifiziert, erleichtert ihm das die Entscheidung, ob der Film sehenswert ist oder nicht.
Die objektive Filmkritik hingegen zeigt nicht, wie der Film auf den Kritiker gewirkt hat. Sie beschreibt lediglich den formalen Aufbau und verfasst, unabhängig von Geschmack, Genre – etwa Thriller oder Komödie – und Sehgewohnheiten, eine nahezu „technische“ Erörterung zum jeweiligen Thema.
Bewertungskriterien für Filme
Filme können unter verschiedenen Gesichtspunkten betrachtet und in ihre einzelnen Sektoren aufgeteilt und darin separiert bewertet werden. Das führt dazu, dass ein Film in bestimmten Bereichen überzeugen und in anderen enttäuschen kann.
Schließlich arbeiten an einem Film oft viele Menschen mit und das Department für Spezialeffekte hat beispielsweise mit dem Department für Story und Dramaturgie wenig zu tun, sodass beide im Endprodukt eine unterschiedliche Qualität hervorbringen können.
Die folgende Auflistung zeigt die grundsätzlichen Parameter, an denen sich ein Film bewerten lässt.
- Kulissen und Ausstattung
- schauspielerische Leistungen
- Effekte
- Synchronisation
- Maske und Kostüme
- Musik und Sound
- Schnitt
- Bildsprache und visueller Stil
- Regie
- Handlung und Dramaturgie
Oft spielt für Kritiker auch das Thema des Films eine Rolle. So werden gesellschaftlich aufgeladene oder umstrittene Dinge hin und wieder besser bewertet als die normale Komödie, die keine Aussage trifft oder der „Kanten-freie“ Film für die ganze Familie.
Für die professionelle Filmkritik darf jedoch die Welt, in der der Film spielt, keine Bedeutung haben. Sie muss unabhängig von äußeren Faktoren innerhalb obiger Kriterien bewertet werden. Eine Ausnahme bildet hier das Filmjahr. So sind Filme sowohl Ausdruck als auch Opfer ihrer Zeit. Ausdruck in dem Sinne, dass die Rahmenbedingungen der echten Welt natürlich Einfluss auf Sujets, Charaktere und Handlungen nehmen. Und Opfer, da die verwendete Technik und die Effekt-Möglichkeiten in starkem Zusammenhang mit dem Erscheinungsjahr stehen. Das führt dazu, dass die Spezialeffekte im Fall von „2001 Odyssee im Weltraum“ deutlich besser bewertet werden als die eines Marvel-Superheldenfilms. Zwar hat der Marvelfilm im direkten Vergleich die opulentere Optik, doch in Bezug auf das Entstehungsjahr ist Stanley Kubricks Werk beeindruckender.
Die Bedeutung des Genres und der Auswertung
Es spielt eine große Rolle, ob ein Drama, ein Biopic oder ein Actionfilm rezipiert wird. Während bei letzterem Departments wie Effekte, Schnitt, Kulissen und Ausstattung am relevantesten sind, spielen diese Punkte beim Drama oder Biopic keine große Rolle. Hier sind die Handlung, die Dramaturgie, die schauspielerischen Leistungen sowie Maske und Kostüme wichtiger.
Im Bereich Animation sind Regie, Bildsprache, visueller Stil und vor allem auch die Synchronisation die entscheidenden Bewertungsgrundlagen, um die Güte eines Films einordnen zu können.
Doch auch die Auswertung des Medienprodukts spielt für die Bewertung eine Rolle. Bei Kinofilmen ist der Blick des Kritikers deutlich strenger als bei einem reinen Direct-to-DVD Release. Und auch Studio- bzw. Triple A-Produktionen werden nach höheren Maßstäben beurteilt als etwa Independent Filme.
Eine Mischung aus beiden sind Filme, die exklusiv auf Streaming-Diensten laufen. Diese werden zwar strenger als „Indies“ rezipiert, dafür aber wohlwollender als reine Kinoproduktionen.
Die deutschsprachige Kritikerlandschaft
Im deutschsprachigen Raum gibt es eine große Bandbreite an unterschiedlichen Kritikern, die jeweils andere Maßstäbe an einen Film anlegen. Hinsichtlich der Reichweiten gibt es große Unterschiede. Während Portale wie „Moviepilot“ und „Filmstarts“ pro Tag mehrere zehntausend Seitenaufrufe verzeichnen, gibt es auch Blogs und Podcasts mit nur ein paar Hundert Aufrufen oder YouTuber mit einigen Tausend.
Die offiziellen Pressekritiken der Portale sind häufig objektiv strukturiert und betrachten die einzelnen Facetten eines Films und fassen sie in einer Punktewertung zusammen. Dem gegenüber stehen die stark subjektiven Userkritiken, die dem Leser keine Objektivität, sondern das Gefühl vermitteln, welches sich beim Betrachten des Films beim Hobbykritiker eingestellt hat.
Bei dem gesprochenen Filmkritik-Porträt auf YouTube verhält es sich jedoch etwas anders. Während die geschriebene Pressekritik umfangreich und objektiv daherkommt, wird sie für das Medium YouTube in der Regel verkürzt präsentiert und mit persönlichen Meinungen ergänzt. So wird der Kanal „Moviepilot“ beispielsweise von den persönlichen Ansichten des Kritikers Yves Arievich und der „Filmstarts“-Kanal von Sebastian Gerdshikow dominiert. Oft spielen Effekthascherei und Reichweiten-Wirkung die Hauptrolle und die tragende Aufgabe einer Filmkritik tritt etwas in den Hintergrund.
Der Hintergrund ist, dass die Kanäle von der Persönlichkeit des Content-Creators leben und nicht primär das Interesse einer Aufklärung erfüllen, sondern eher das der Unterhaltung. Auch hier zeigt sich allerdings eine dynamische Entwicklung und die Reise geht eher in Richtung Qualität, guter Ideen und einem seriösen Umgang mit wesentlichen Fragen der Filmkritik. So manche YouTube Stimme wird inzwischen durchaus auch in seriösen Kreisen gehört.
Bei der Filmkritik von Einzelkritikern zeichnet sich ein etwas anderes Bild. So betrachtet etwa Wolfgang M. Schmitt vom Kanal „Die Filmanalyse“ die Inhalte eines Films häufig unter ökonomischen Gesichtspunkten und nimmt eine Einordnung der Sujets und Motive in tatsächliche gesellschaftliche Entwicklungen und Zustände vor.
Für den ehemaligen Computerspiegelredakteur David Hain spielen derartige Erwägungen keine Rolle. Auf seinem Kanal „Behaind“ beleuchtet er vielmehr Themen wie Visualität, Schnitt, Dialoge, Musik und Sound, lässt dafür aber Interpretationen und Departments wie Kulissen, Ausstattung, Kostüme usw. außen vor. Hinzu kommt, dass er seine Filmkritik häufig mit seiner persönlichen Perspektive garniert.
Ein Beispiel für einen meistenteils objektiven Kritiker ist Robert Hofmann, der auf seinem gleichnamigen Kanal Kinokritiken formal immer gleich aufbaut. Stück für Stück geht er die einzelnen Bewertungskriterien durch und betrachtet sie separiert. Am Ende vergibt er jedem Film zwei verschiedene Wertungen. Eine innerhalb des Genres und eine Gesamtwertung.
Noch einmal anders als die Portale und Einzelkritiker agieren Ensemble-Kanäle wie „Filmgorillas“ oder „Cinema Strikes Back„. Bei diesen ist die Objektivität der Kritik stark davon abhängig, welches Ensemble-Mitglied für die Rezeption verantwortlich zeichnet.
So werden in der deutschen „Filmkritik- & Kritiker-Landschaft“ von stark subjektiv bis hin zu stark objektiv alle Ausprägungen geboten.
Die Zahlen hinter den Kritiken
Im Laufe der Zeit haben sich zwei Bewertungssysteme für Filmkritiken etabliert: Das 5er und das 10er System, wobei beide letztlich auf das Gleiche hinauslaufen, da sie untereinander skalierbar sind.
Bei der 5er-Skala beträgt die niedrigste Wertung 1 und die höchste 5. Zwischenstufen sind halbe Punkte. 10er Skalen beginnen in der Regel auch bei einem Wert von 1 und enden – wie es der Name schon sagt – bei der 10. Bei ihnen werden aber häufig keine halben Punkte als Zwischenstepps verwendet, sondern Zehntelpunkte. Beispiel hierfür ist die Skala der IMDb (Internet Movie Database), der größten Filmdatenbank im Internet.
Für den traditionellen 4-Quadrant-Movie ist eine Wertung von 8-10 in der 10er Skala bzw. von 4-5 in der 5er-Skala ein wünschenswertes Ergebnis. So peilen etwa Studios wie Disney und Marvel stets einen solchen Wert an, um bei der breiten Masse gut anzukommen. Auch bei einem Dokumentarfilm ist man als Produzent bestrebt, eine derartige Wertung zu erlangen, um die nötige Aufmerksamkeit für einen Erfolg zu erhalten.
Anders verhält es sich bei Genrefilmen. Traditionell werden hier nur selten Wertungen von 8-10 bzw. 4-5 erreicht, da bestimmte Departments zur Bedienung des Genres eher „kritikerfeindlich“ behandelt werden. So agieren Figuren in einem Actionfilm häufig klischeehaft und eindimensional, da somit weniger Zeit und Aufwand in die Charakterisierung gesteckt werden muss. Hinzu kommt, dass bei einem Genrefilm kein Charakter wirklich echt und realistisch ist, sondern immer entweder einem Archetypus oder einem Extrem folgt.
Auch Komödien werden im Schnitt ein paar Punkte niedriger bewertet als ein reines Abenteuer oder ein Film, in dem die ernsthafte Geschichte im Vordergrund steht. Besonders deutlich wird das bei den jährlichen Oscarverleihungen. Hier gehen Komödien in der Regel leer aus, während Dramen klar im Vorteil sind.
Hinsichtlich der Skalierung gibt es übrigens noch einen Ausreißer, der ein anderes System nutzt. Die Seite „Rotten Tomatoes“ bemisst die Güte eines Films nicht mit Punkten, sondern mit einem Prozentsatz. Dieser ermittelt sich aus dem Verhältnis zwischen der Summe positiver und negativer Filmkritik zu einem Film. Die Einzelkritik kann hier also nur zwei Zustände (Hop oder Top) haben und die Feinaggregation erfolgt durch Kumulierung.
Film: Erwartungshaltung vs. Objektivität
Oft leidet die Objektivität einer Filmkritik unter einer im Vorfeld aufgebauten Erwartungshaltung. Diese kann entweder durch Teaser und Trailer oder durch die bisherigen Werke des Regisseurs entstehen.
Ein aktuelles Beispiel hierfür ist der Film „Last Night in Soho“ von Edgar Wright. Durch die von ihm inszenierte „Cornetto-Trilogie“ und Action-Thriller wie „Baby Driver“ hat sich der Regisseur einen Ruf aufgebaut, der ihm vorauseilt. Als Meister des Editings und der Übergänge werden an ihn andere Maßstäbe angelegt als an einen Debütanten.
Da man von ihm gewohnt ist, dass Musik und Bilder eine Einheit bilden und Szenen virtuos verknüpft werden, ist die Fallhöhe beim Fehlen dieser Eigenschaften enorm hoch. Anders verhält es sich mit Regisseuren wie Uwe Boll. Sein Frühwerk wurde von der zeitgenössischen Kritik durchgehend verrissen und gerade seine Videospielverfilmungen sind auf so mancher Bottom List zu finden. Umso größer war bei Kritikern die Überraschung bei seinen späteren Filmen, wie der „Rampage-Trilogie“, „Darfur“ oder „Assault on Wall Street“, die zwar formal deutlich besser als seine vorigen Werke ausfielen, aber aufgrund der niedrigen Erwartungshaltung besser bewertet wurden, als wenn ein Edgar Wright sie gedreht hätte. Auch in der Kino-Welt lässt sich die Psychologie nie ausblenden und auch in der Filmkritik wird es immer subjektive Wahrnehmung und Verzerrungseffekte geben.
Der Name des Filmschaffenden spielt hier also eine größere Rolle für die Rezeption als die tatsächliche Qualität des Films. Filmkritik ist immer auch im Kontext zu lesen und zu verstehen.
Professionelle Filmkritik: Unabhängigkeit ist die Grundlage
Filmkritiken und Filmkritiker werden ab einer bestimmten Reichweite von den Filmverleihern zu Pressevorführungen in die Kinos eingeladen und können sich somit den Film kostenfrei ansehen. Ihre Aufgabe besteht jedoch darin, parteilos und unvoreingenommen Notizen zu machen und ihren Zuhörern, Zuschauern oder Lesern die bestmöglich objektive Empfehlung zu geben oder vom Film abzuraten.
Zwar ist es selten, dass positive Rezensionen von den Verleihern incentiviert werden, auszuschließen ist es jedoch nicht. Der unabhängige Kritiker nimmt derartige Angebote nicht an und stützt die Informationen, die er seinem Publikum gibt, ausschließlich auf den Film selbst.
Deshalb ist Vorsicht geboten bei Kritikern, die unter dem Dach eines Studios, Verleihs, Streamingdienstes oder einer Kinokette arbeiten. Als Erfüllungsgehilfen ihres Auftraggebers ist ihre Kritik natürlich subjektiv und die Informationen dienen ausschließlich der positiven Darstellung des Produkts. Zwar können auch solche Kritiken einen Unterhaltungswert bieten und lesenswert sein, einen professionellen Anspruch haben sie aber nicht.